SARS2: Endemie oder Pandemie – was denn nun? Endemie Rebellen, 22. Oktober 202320. Juli 2024 In unserer ersten Ausgabe der Basics möchte ich mich zunächst mit der Frage beschäftigen, ob nun die »Corona-Pandemie« tatsächlich vorbei ist und was der Begriff »Endemie« eigentlich bedeutet, den man jetzt so oft im Zusammenhang mit SARS2 hört. Außerdem gebe ich Euch Infos an die Hand, wie man sich trotz fehlender offizieller Daten und unzureichender Medienberichterstattung über das aktuelle Infektionsgeschehen informieren kann. Wir haben es ja bereits im Intro von Dieter Reiter, dem Oberbürgermeister der Stadt München, gehört: Corona interessiert viele Menschen nicht mehr. Wir wollen das so gerne als eine von vielen Infektionskrankheiten einordnen, mit denen wir gesellschaftlich schon lange konfrontiert sind: als »Grippe«, »Schnupfen« oder »sonstigen grippalen Infekt«. Der Wunsch danach, dies so zu tun, ist menschlich und in gewisser Weise sogar verständlich. Denn wir alle haben genug andere Sorgen und Probleme im Alltag, mit denen wir uns rumschlagen müssen. Wäre es da nicht hilfreich, wenn die Probleme einfach weg wären, die eine Pandemie mit einem neuen Virus mit sich gebracht hat? Und wenn man die öffentliche Berichterstattung verfolgt, dann scheint das ja auch so zu sein. Es wird jetzt davon gesprochen, dass Covid nun endemisch sei. Aber was bedeutet das eigentlich? Schauen wir uns mal an, wie die Begriffe »Pandemie« und »Endemie« definiert sind – was sagt uns z.B. Wikipedia dazu? Pandemie (von altgriechisch πᾶν pan ‚gesamt, umfassend, alles’ und δῆμος dēmos ‚Volk‘) bezeichnet eine „neu, aber zeitlich begrenzt in Erscheinung tretende, weltweite starke Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und i. d. R. auch mit schweren Krankheitsverläufen.“ Im Unterschied zur Epidemie ist eine Pandemie örtlich nicht beschränkt, zumeist gibt es aber Gegenden, in denen sich der Krankheitserreger nicht bzw. nicht sehr stark ausbreitet. In Bezug auf die Influenza legte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihren zuletzt im Mai 2017 überarbeiteten Leitlinien zum Pandemic Influenza Risk Management fest, dass der WHO-Generaldirektor eine Pandemie – also den Übergang von einer Epidemie zur Pandemie – ausruft. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Pandemie Von Endemie (von altgriechisch ἐν en ‚in‘ und δῆμος dēmos ‚Volk‘) wird in der Medizin gesprochen, wenn Fälle einer Krankheit in einer bestimmten Population oder begrenzten Region fortwährend gehäuft auftreten. Bei einer Endemie sind somit, über einen längeren Zeitraum betrachtet, in der betroffenen Population oder Region sowohl die Prävalenz (Krankheitshäufigkeit) als auch die Inzidenz (Neuerkrankungshäufigkeit) einer bestimmten Krankheit im Vergleich zu anderen Populationen oder Regionen erhöht und bleiben mit geringen Schwankungen auf dem erhöhten endemischen Niveau. Eine in weiten Teilen der Welt verbreitete Krankheit kann in verschiedenen Regionen auf unterschiedlichem Häufigkeitsniveau endemisch sein. Ähnlich kann mit Abflachen der Infektionswellen auch eine Erkrankung wie COVID-19 endemisch werden. Endemische Erreger müssen nicht zwangsläufig harmlos sein: Beispielsweise starben 2020 rund 600.000 Menschen an Malaria und 1,5 Millionen an Tuberkulose; auch die Pocken waren vor ihrem Ausrotten endemisch. Vor dem Hintergrund warnte der Epidemiologe Aris Katzourakis, dass „endemisch“ einer der am meisten missbrauchten Begriffe während der COVID-19-Pandemie sei, und führte als Beispiel den Gebrauch durch Politiker an, die die Endemie als Begründung anführten, wenig oder gar keine Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 zu ergreifen. Im Unterschied zu einer Endemie wird das nur vorübergehend oder erst seit kurzem beobachtete gehäufte Auftreten von Krankheitsfällen mit deutlicher Zunahme von Prävalenz und Inzidenz als eine Epidemie bezeichnet, soweit es noch regional beschränkt erscheint, und bei länder- und kontinentübergreifender Ausbreitung als eine Pandemie. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Endemie Was bedeutet das jetzt für die aktuelle Situation? Derzeit treten weltweit weiterhin viele Infektionen mit SARS2 auf. Diese Infektionen verlaufen zudem immer noch »wellenförmig«, das heißt, dass es über den Jahresverlauf betrachtet Phasen mit niedrigem Infektionsgeschehen und Phasen mit ansteigendem bzw. hohem bis sehr hohem Infektionsgeschehen gibt. Dabei sind auch weiterhin 7-Tages-Inzidenzen von über 1000 Erkrankten pro 100.000 Einwohnern keine Seltenheit. Diese Phasen sind zudem nicht an eine bestimmte Saisonalität gebunden. Das heißt, dass anders als zum Beispiel bei der Virus-Grippe Influenza kein Zusammenhang zwischen einem vermehrt auftretenden Infektionsgeschehen und einer bestimmten Jahreszeit (Saison) besteht. Infektionsquellen treten regional oder überregional gehäuft auf, wenn es bestimmte auslösende Ereignisse dafür gibt. Das Oktoberfest in München kann man getrost als so ein Ereignis ansehen. Nachweislich steigen die Krankheitsfälle mit Corona regional in München aber auch überregional in Bayern und darüber hinaus derzeit stark an. Das zeigen die Daten des bayerischen Abwasser-Monitorings, das trotz Testmüdigkeit der Bevölkerung und fehlender Meldung von Krankheitsfällen an die zuständigen Gesundheitsämter, weiterhin ein zuverlässiges Bild des Infektionsgeschehens zeichnet. Auch in anderen Ländern treten Krankheitsfälle vor allem nach großen Veranstaltungen auf. Da die meisten Menschen auf persönlichen Infektionsschutz verzichten, hat das Coronavirus leichtes Spiel. Wir werden zu den Übertragungswegen von SARS2 noch eine separate Basic-Episode machen. Etwas wissenschaftlicher gesprochen steigt der sogenannte R-Wert (also die Reproduktionszahl), die ein Maß für ansteigende, gleichbleibende oder absinkende Infektionstätigkeiten ist, derzeit noch regelmäßig auf Werte über 1. Es kommt dann zu einer ansteigenden Infektionswelle in der Bevölkerung. Dies geschieht nicht vorhersagbar wie bei winterlichen Grippewellen, d.h. die Bevölkerung kann sich nicht darauf einstellen. Eine Infektionswelle kann aktuell jederzeit und vollkommen unvorhersehbar entstehen. Diese Wellen sind zudem nicht regional begrenzt. Kommen wir nochmal zurück zur Definition einer Endemie: Wir sprechen dann von einer Endemie, wenn Fälle einer Krankheit in einer bestimmten Population oder begrenzten Region fortwährend gehäuft auftreten. Das Wesen einer endemischen Erkrankung ist also, dass wir sie entweder in einer klar abgegrenzten Region verorten können (zum Beispiel Malaria in weiten teilen Afrikas) oder aber das vermehrte Auftreten einer Erkrankung vorhersehbar eintritt – wie etwa bei saisonal wiederkehrenden Grippewellen. Interessant ist dabei auch, dass die Grippe es alle paar Jahre immer mal wieder schafft, aus dem endemischen Zustand in eine Pandemie zu wechseln. Nämlich immer dann, wenn der auftretende Erreger sich infolge seiner Weiterentwicklung (sogenannten Mutationen) so weit von den vorangehenden Influenzaviren entfernt hat, dass ihn die Immunsysteme der infizierten Menschen nicht rechtzeitig erkennen und ausschalten. Ein Erreger, der also weit – quasi global – verbreitet ist und sich leicht zwischen Menschen ausbreiten kann, löst demnach regelmäßig Pandemien aus. Und pandemische Grippewellen sorgen immer wieder für viele Opfer. Wenn wir das alles jetzt mal auf unseren aktuellen Zustand übertragen, der mit SARS2 vorliegt, was bleibt dann übrig? Wir haben erstens eine Erkrankung (Covid-19), die weiterhin global auftritt. Es gibt nur sehr wenige und vermutlich recht abgelegene Regionen auf der Erde, in denen SARS2 nicht oder nicht mehr vorkommt. Ansonsten ist es überall verbreitet. Zweitens kommt SARS2 immer wieder ausbruchsartig zum Vorschein. Großveranstaltungen, Eintragungen in spezifischen Einrichtungen wie Altenheimen, Krankenhäusern oder Schulen, aber auch unspezifisches Auftreten in der Bevölkerung ohne klar identifizierbare Quelle passieren aktuell jederzeit. Drittens kann bislang weder eine adäquate Vorhersage getroffen werden, wann mit einem hohen Infektionsgeschehen zu rechnen ist, noch wie hoch eine Infektionswelle ausfällt. Alle Indizien sprechen also dafür, dass wir es in Bezug auf SARS2 weiterhin mit einer Pandemie zu tun haben. Von einer Endemie zu sprechen erscheint mindestens verfrüht, möglicherweise sind wir von einem solchen Zustand auch noch Jahre entfernt. Aber warum ist das so? Nun, zum einen ist SARS2 in der Lage sich aufgrund der großen Verbreitung in verschiedenen Bevölkerungen ständig zu verändern. Es mutiert einfach laufend weiter. Und durch den Zufall treten dabei immer wieder Varianten auf, denen es gelingt, den bereits aufgebauten Immunschutz wieder neu zu umgehen. Inzwischen spricht man gar von einer Variantensuppe, in der nicht mehr nur eine Variante für die allermeisten Infektionen verantwortlich ist, sondern es gibt eine gute Hand voll Varianten, die derzeit ganz erfolgreich zirkulieren. Dabei ist es dann auch im Bereich des Möglichen, dass man sich unmittelbar nach einer überstandenen SARS2 Infektion kurze Zeit später mit einer weiteren Variante ansteckt, um dann erneut an COVID-19 zu erkranken. Übrigens stellt auch die WHO klar, dass die Pandemie mit SARS2 bis heute noch nicht vorbei ist. On 5 May 2023, more than three years into the pandemic, the WHO Emergency Committee on COVID-19 recommended to the Director-General, who accepted the recommendation, that given the disease was by now well-established and ongoing, it no longer fit the definition of a PHEIC. This does not mean the pandemic itself is over, but the global emergency it has caused is, for now. https://www.who.int/europe/emergencies/situations/covid-19 Und warum ist es für viele Expertinnen und Experten eigentlich erstrebenswert, dass SARS2 »endemisch« wird? Genau das ist die Kernfrage hier. Gar nichts an einem endemischen Zustand mit SARS2 ist erstrebenswert. Denn wenn wir unter Endemie einen Zustand verorten, den wir bereits von der Grippe kennen, dann bedeutet dies: Ein Erreger, der weltweit auftritt und sich leicht von Mensch zu Mensch verbreiten kann, und das auch noch in sehr kurzen Abständen. Die Krankheitslast ist in allen Teilen der Welt dauerhaft erhöht. SARS2 ist zudem augenscheinlich kein saisonal auftretender Erreger. Das bedeutet, dass wir in einem endemischen Zustand mit SARS2 eigentlich regelmäßig, möglicherweise jedes Jahr oder noch häufiger, mit einer Infektion rechnen müssten. Es sei denn, wir erkennen die Besonderheiten dieses Erregers an: globale Verbreitung, hohe Übertragungsrate von Mensch zu Mensch und großes Potential für Mutationen. Das würde bedeuten, dass wir diesem Erreger mit größerer Sorgfalt in Bezug auf den persönlichen Schutz begegnen sollten: also Maske tragen in Innenräumen, bessere Innenraumluftqualität, vermehrte Testungen. Überhaupt ist es wichtig die aktuelle Infektionslage in seiner Region zu kennen oder wenigstens Indizien für die aktuelle Infektionsdynamik vorliegen zu haben. Monitoring Ich hatte eingangs gesagt, dass das Infektionsgeschehen in Deutschland aktuell nicht mehr in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird. Das hat natürlich vor allem damit zu tun, dass das RKI und das Bundesgesundheitsministerium keine verlässliche Datenbasis mehr zur Verfügung stellen. Denn auch wenn Covid-19 aktuell nach Infektionsschutzgesetz noch zu den Meldepflichtigen Erkrankungen gehört, die wenigsten Infizierten werden sich mit der notwendigen Methodik darauf testen bzw. die wenigsten Ärzte halten es heute noch für notwendig eine PCR Diagnostik durchzuführen, die dann bei positivem Befund an das zuständige Gesundheitsamt zu melden wäre. Daher liegen die offiziell gemeldeten Inzidenzen dieser Tage im einstelligen oder unteren zweistelligen Bereich. In Wirklichkeit sieht es aber ganz anders aus und wenn Ihr Euch auf verlässliche Weise zum aktuellen Infektionsgeschehen informieren wollt, dann empfehlen wir Euch zum einen die SentiSurv Stichprobe aus Rheinland-Pfalz. Dashboard SentiSurv RLP14-Tage-Inzidenz der SARS-CoV-2 Infektionen in Rheinland-PfalzWeiterlesenwww.unimedizin-mainz.de Dabei handelt es sich um ein Projekt der Uni Mainz, welches regelmäßig in größeren Städten des Bundeslandes Bevölkerungsweite repräsentative Stichproben erhebt. Kurz: Hier werden regelmäßig mehrere 1000 Menschen getestet unabhängig davon, ob bei Ihnen eine Symptomatik vorliegt oder nicht. Aus dieser Stichprobe werden dann die tatsächlich positiven Fälle ermittelt und so lässt sich dann eine deutlich genauere Inzidenz ermitteln. Die so ermittelte 7-Tages-Inzidenz lag zum Beispiel am 11. Oktober 2023 bei etwa 1300 (pro 100.000) wobei der Fehlerbereich mit einer Obergrenze von etwa 1500 und einer Untergrenze von etwa 1100 angegeben wurde. Zum Vergleich: An diesem Tag lag die bundesweite Inzidenz laut Bundesgesundheitsministerium bei 12,9 – also um einen Faktor 100 niedriger als bei SentiSurv. Eine zweite gute Quelle für verlässliche Informationen zum Infektionsgeschehen (vor allem regional) sind die Abwasserdaten. Leider gibt es in Deutschland keine zentrale Anlaufstelle für diese Daten seit das RKI das Dashboard eingestellt hat. Aber mit einer kurzen Internetrecherche lassen sich vielleicht auch in Eurer Region aktuelle Abwasserdaten finden. Ein sehr schönes Beispiel ist Bayern, das alle Daten aus den regionalen Abwasser Monitorings auf einer Seite zusammengefasst hat und öffentlich bereitstellt. Österreich ist da übrigens besser aufgestellt und stellt eine zentrale Seite für alle Abwasserdaten aus dem Bundesgebiet zur Verfügung. Nun haben wir gelernt, dass SARS2 derzeit noch alle Merkmale eines pandemischen Erregers erfüllt, die WHO derzeit ebenfalls noch von einer »Pandemie« spricht und wir eine Endemie mit diesem Erreger eher nicht als erstrebenswert ansehen sollten. Nun stellt sich gleich die nächste Frage: Warum können wir denn derzeit ohne Schutzmaßnahmen leben und unsere Gesellschaft ist noch nicht zusammengebrochen? Dafür gibt es eine sehr einfache wie unterkomplexe Antwort: die Schwere der akuten COVID-19 Erkrankung hat sich im Vergleich zum Beginn der Pandemie erheblich verringert. Das ist vor allem ein Verdienst der Impfungen, die maßgeblich vor schweren Akutverläufen schützen. Hinzu kommen die vielen vorangehenden Infektionen, die ebenfalls im Immunsystem jeder einzelnen Person zumindest mal einen Mindestschutz gegen schweren Akutverlauf hinterlegt haben. Darum bricht aktuell unser Gesundheitssystem nicht direkt unter der Last vieler Covid-19 Erkrankter zusammen. Leider lässt diese Antwort aber viele Facetten der tatsächlichen Situation in Bezug auf SARS2 außer Acht. Denn auch wenn die akute Erkrankung unser Gesundheitssystem heute nicht mehr unmittelbar an seine Grenzen bringt, so stellen viele gleichzeitig mit grippalen Symptomen erkrankte Menschen im Gesundheitswesen trotzdem ein Problem dar. Fachkräftemangel und häufig erkranktes Personal geben sich die Klinke in die Hand und führen bereits heute zu spürbaren Engpässen sowie Unterversorgung in medizinischen Einrichtungen. Hinzu kommen die vielen Langzeiterkrankten, die entweder nur noch teilweise oder leider in vielen Fällen auch gar nicht mehr arbeiten können. Denn das, worum es bei den Risiken von SARS2 wirklich geht, sind die Langzeitfolgen. Und über diese Langzeitfolgen und weitere Risiken, die mit einer oder wiederholten SARS2 Infektionen einhergehen, werden wir Euch in den nächsten Basic Episoden näher informieren. Bleibt gesund und passt auf Euch auf! Euer Florian von den Endemie Rebellen Basics Podcasts