Offener Brief an das NDR-Coronavirus-Update-Team COVID is not over, 23. März 20251. April 2025 In ihrem offenen Brief äußert Barbara Hilleke Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung der Podcast-Neuauflage des NDR-Coronavirus-Update. Sie plädiert für eine stärkere thematische Fokussierung auf die langfristigen gesundheitlichen Folgen von Covid-19 und den aktuellen gesellschaftlichen Umgang mit dem Virus: Guten Tag Frau Hennig, guten Tag Frau Remus, ich schreibe Ihnen, weil ich zu den Vielen gehöre, die damals mit Begeisterung und regelmäßig den NDR-Podcast gehört haben. Für mich war dieser Podcast lebensrettend. Da waren zum einen die Informationen, die in der Situation dringend gebraucht wurden. Zum anderen war es aber auch Angstbewältigung. Es war das Gefühl, dass sich Menschen, allen voran Professor Drosten, mit enormer Ruhe, Vernunft, Genauigkeit, Ernsthaftigkeit und Kompetenz mit der Sache beschäftigen, den Stand der Forschung im Blick haben und Einschätzungen geben können. Das war einfach beruhigend und hat mir sehr geholfen, die Angst zu bewältigen. Danke dafür. Inzwischen ist die Situation eine andere und aus meiner Sicht ist das Thema der Neuauflage des Podcasts falsch gewählt. Professor Drosten sagt in dem Interview mit Jung & Naiv, dass ca. 6% der Covid- Infektionen zu Long Covid führen. Es gibt andere Stimmen, die von bis zu 20% berichten, aber das kann ich nicht beurteilen. Selbst wenn es 6% sind – ich glaube, wenn mir ein Medikament verschrieben würde, bei dem ich 6% Chance hätte, Nebenwirkungen zu erleben, die mich aus meinem Leben herauskatapultieren würden, wie einige Long Covid- Patient*innen beschreiben, würde ich es mir gut überlegen, ob ich das Medikament nehmen würde. Professor Drosten sagt, bei Kindern sei es nur 1% der Infektionen, die zu Long Covid führen. Auch hier gibt es andere fachliche Meinungen und eine Studienlage, die ich nicht überschauen und beurteilen kann. Es scheint jedoch Hinweise dafür zu geben, dass Covid-Infektionen, auch „leichte Verläufe“ und sogar asymptomatische Verläufe langfristig zu neurologischen Veränderungen und kognitiven Einschränkungen führen können, dass sie das Immunsystem schädigen, dass sie das Blut verklumpen lassen und zu Herzinfarkten und Schlaganfällen führen können, dass sie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Autoimmunerkrankungen zur Folge haben sowie Schädigungen an Herz, Lungen und Nieren, dass sie ME/CFS auslösen und vermutlich noch einiges mehr. Aber selbst wenn es sich nur um eine Wahrscheinlichkeit von einem Prozent handelt, dass Kinder Long Covid bekommen, stellt sich für mich die Frage, ob eine Durchseuchung in Schulen und Kitas ethisch vertretbar ist. Hatte nicht Professor Drosten diese Frage auch irgendwann mal gestellt? Das mag anekdotische Evidenz sein, aber ich habe oft das Gefühl, live beobachten zu können, wie alle um mich herum immer kränker werden. Wortfindungsstörungen, dauernde und langanhaltende Erkältungen, in allen Bereichen ganz hoher Krankenstand, kürzere Lebenserwartung, sehr junge Leute, die auf einmal plötzlich und unerwartet sterben ohne dass man weiß woran und als Hintergrundgeräusch, wo immer man ist, ständiges Husten. Es wird inzwischen laut darüber nachgedacht, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu reduzieren… Und da gibt es keinen Zusammenhang zu Covid? Es gibt das Virus nun seit fünf Jahren. Wer kann sagen, was es vielleicht acht oder zehn Jahre nach einer Infektion noch auslösen kann? Professor Drosten hatte mal geäußert, es käme bei Geimpften, die die Krankheit durchgemacht haben, zu einer „Hybridimmunität“. Im Nachhinein kann man doch sagen, dass das eine Fehleinschätzung war, oder? Es erkranken doch immer noch Leute, auch solche, die geimpft sind und bereits mehrfach infiziert waren? Seit der Impfung gibt es weniger schwere Verläufe, kein exponentielles Wachstum der Fallzahlen mehr und weniger Todesfälle. Soviel ich weiß, hat die WHO die Pandemie jedoch bisher nicht für beendet erklärt, sondern nur die gesundheitliche Notlage von internationaler Tragweite. Das Virus ist nicht verschwunden. Ich verstehe nicht, warum es damit gesellschaftlich keinen rationalen Umgang gibt. Es wäre doch mit dem Wissen von heute relativ einfach: Aufklärung über Übertragungswege, Luftreiniger an Orten aufstellen, wo sich viele Menschen aufhalten, Masken bei Bedarf. Politik und Medien greifen da wunderbar ineinander. Irgendwann wurden keine Todeszahlen mehr veröffentlicht, die Stiko empfiehlt die Impfung nur noch für über 60- Jährige, das Abwasserscreening wird eingeschränkt, an einigen Orten abgeschafft. Nicht mal mehr in Krankenhäusern wird geschützt. Das erinnert mich alles ein bisschen an die Idee, dass unangenehme Dinge verschwinden, wenn man sich nur Augen und Ohren gut zuhält. Eine Zeitlang wurde in Politik und Medien immer wieder betont, Covid sei ja jetzt „vorbei“. Anfangs klang das wie eine Beschwörungsformel, musste bei jeder Gelegenheit wiederholt werden, später kam es immer beiläufiger und wie selbstverständlich. Viele Menschen, denen ich im Alltag begegne, glauben das auch bis heute und sind dann sehr überrascht, wenn sie hören, dass es sich bei einem gewissen Prozentsatz der „Erkältungen“, die gefühlt dauerhaft kursieren, tatsächlich immer noch um Covid handelt. Aber auch diejenigen, die es wissen, schützen sich zumeist nicht mehr davor. Es wäre doch mal interessant, zu untersuchen, welche psychischen oder sozialpsychologischen Mechanismen da greifen und warum inzwischen alle offiziellen Medien in den Chor einstimmen, der bewirkt, dass der Selbst- und Fremdschutz überhaupt keine Rolle mehr spielt. Und ich denke, genau das wäre das Thema für eine Fortsetzung des Podcasts gewesen. Das ist das Thema, das aufgearbeitet werden müsste. Was genau ist da passiert, dass gesellschaftlich kein Schutz mehr stattfindet vor einem Virus der Gefahrenklasse 3? Wie kommt es, dass sich die Coronaleugner faktisch durchgesetzt haben? Das Thema ist, kleiner Exkurs, noch aus einem anderen Grund zentral: Ich denke, dass bei diesem Übergang von gesellschaftlichem Schutz vor einer Pandemie hin zu einer kompletten Leugnung der weiterhin existierenden Gefahren etwas passiert ist, was sich ganz aktuell bei einem anderen Thema wiederholt. Es gibt die menschengemachte Klimakatastrophe. Inzwischen ist bekannt, dass die Leute, die heute Kinder sind, vermutlich nicht mehr an Altersschwäche sterben werden. Und anstatt dass sich jetzt alle, Bevölkerung, Medien und Politiker*innen darauf konzentrieren, was hier verändert werden müsste, um das Allerschlimmste zu verhindern, wird ein angebliches „Migrationsproblem“ erfunden und alle überschlagen sich in bösartigen und rassistischen Abschiebeplänen und sadistischen Sanktionsphantasien gegen Menschen mit Migrationshintergrund. So weit hergeholt das vielleicht erscheint, es gibt definitiv Parallelen. In beiden Fällen wird einer Personengruppe mit menschenfeindlicher Ideologie, die laut und aggressiv auf sich aufmerksam macht, begegnet, indem ihre „Inhalte“ und Behauptungen zu Wahrheiten erklärt werden. Oder bin ich inzwischen diejenige, die einer Verschwörungstheorie aufgesessen ist? Vielleicht liege ich ja völlig falsch aber ich schütze mich weiterhin. Ich habe einen Grund, warum ich die Krankheit auf keinen Fall bekommen möchte. Ich lasse mich einmal im Jahr impfen, habe mir ein T-Shirt mit der Aufschrift Dr. Strange zugelegt, trage in Innenräumen Maske und meide Gelegenheiten wie Restaurants oder Feiern, wo gemeinsam gegessen wird. Bei gegenseitigen Besuchen von Freund*innen testen wir uns vorher. Mein Leben ist dadurch sehr eingeschränkt, aber diese Einschränkungen sind mir immer noch lieber, als die Einschränkungen, die eine Long-Covid-Erkrankung mit sich bringen würde. Und immerhin bin ich mit dieser Haltung nicht ganz alleine. Außerdem finde ich es sehr angenehm, dass ich seit 2019 nicht mal mehr eine kleine Erkältung hatte. Auch in der Neuauflage des Podcasts wird immer mal beiläufig in der Vergangenheitsform über Covid gesprochen. Für mich ist das auch ganz persönlich sehr problematisch, weil damit die Behauptung, Covid sei „vorbei“, noch weiter zementiert wird. Ausgerechnet von Leuten, die es wissen müssten. Das verstärkt bei mir das Gefühl, mit meiner Vorsicht und meiner Eigenverantwortung etwas völlig Verrücktes und Irrationales zu tun, und zurecht von hustenden Menschen dafür belächelt oder als „Angststörung“ geframt zu werden. Ich würde mich wirklich sehr freuen, wenn Sie dazu etwas sagen könnten. Freundliche Grüße, Barbara Hilleke Gemeinsam für Gesundheit Nachrichten Offene Briefe/Petitionen ⭐️
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