Alles ist ein Remix oder: Nichts gelernt aus der SARS-Pandemie 2003 COVID is not over, 5. August 20246. August 2024 Eine Kolumne von COVID is not over. In der Welt der Kreativität und Innovation gibt es eine faszinierende Idee: »Nichts ist neu und alles ist ein Remix.« Diese Aussage, die oft dem Musiker und Produzenten Kirby Ferguson zugeschrieben wird, besagt, dass alle Ideen, Kunstwerke und Erfindungen auf bereits existierenden Elementen aufbauen. Wie ein DJ, der verschiedene Samples mischt, entsteht Neues und Fortschritt durch die Kombination und Transformation von Bestehendem. Das Original, die SARS-Pandemie von 2002/2003, war das erste weltweite Auftreten des Schweren Akuten Atemwegssyndroms (SARS), das durch das SARS-CoV-Virus verursacht wurde. Von Südchina ausgehend verbreitete sich die Epidemie binnen weniger Wochen über nahezu alle Kontinente. 16 Jahre später sind die Parallelen zu den Anfängen der immer noch aktuellen COVID-19-Pandemie unverkennbar. Die derzeitige Gesundheitskrise ist ein morbider Remix einer früheren Krise, die damals trotz anfänglicher Fehler durch verantwortungsbewusste Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit schnell eingedämmt wurde. Doch heute – nach Millionen von Toten weltweit und einer noch größeren Zahl von Menschen mit Langzeitschäden – kämpfen wir immer noch mit einer Endlosschleife des bereits Erlebten. Ein Blick zurück zeigt, dass viele der heutigen Erfahrungen trotzdem nicht neu sind. Während die Krise 2003 ein jähes Ende fand, erleben wir nun im fünften Jahr der Pandemie, dass eine Neuauflage nicht immer besser ist als das Original. Verunglimpfung von Maßnahmen Was es schon 2003 gab, waren Ressentiments gegen Masken. Auch rationalen Bedenken wurde mit Spott begegnet, was erstaunlich genau die Haltung der 2020 aufkommenden Querdenkerbewegung widerspiegelt, die sich wiederum spätestens 2022 – nach Wegfall der Schutzmaßnahmen – gesamtgesellschaftlich etabliert hat: Jean-Pierre Raffarin, 54, französischer Premierminister, säte bei seinen Landsleuten Zweifel, ob er heroisch oder unverantwortlich leichtsinnig ist: Bei einer Chinareise lehnte er trotz der grassierenden Sars-Seuche einen Mundschutz ab. […] Zurück in Paris, warnte der Peking-Besucher tapfer vor einer Sars-»Psychose«, […] www.spiegel.de Damit ließe sich bereits erahnen, wie die Reaktion ausfällt, wenn Maßnahmen freiwilliges individuelles Handeln erfordern. Schnelltests Es gab bereits 2003 Bemühungen, Schnelltests zu entwickeln, die bei der Eindämmung der Ausbreitung von SARS helfen sollten: Der Schweizer Pharmakonzern Hoffmann-La Roche meldete unterdessen, bis Ende Juli einen Schnelltest zur Diagnose von Sars bereitzustellen. www.spiegel.de Letztlich waren sie nicht notwendig, um die Krise zu beenden, und bieten uns heute einen entscheidenden, wenn auch ungenutzten Vorteil. Kosten von Maßnahmen Die Kosten für die Eindämmung von SARS im Jahr 2003 waren fast lächerlich im Vergleich zu den menschlichen und wirtschaftlichen Schäden, die Covid-19 bis heute verursacht hat: Wen Jiabao schlug vor, einen asiatischen Fonds zur Eindämmung von SARS einzurichten, und sagte dafür 1,2 Millionen Dollar (1,09 Millionen Euro) zu. www.spiegel.de Auch heute würden die Aufwendungen für ein international koordinierten Vorgehen zur Eindämmung von SARS um Größenordnungen unter den Folgekosten eines global zirkulierenden SARS-Virus liegen. Kontrolle von international Reisenden Der grundlegende Unterschied und Erfolg des Originals von 2003 zum Remix von 2019 besteht darin, dass die Maßnahmen von 2003 nicht auf 8 Milliarden Eigenverantwortliche abgewälzt wurden, sondern an neuralgischen Punkten ansetzten: Die Staaten wollen mit einem Sechs-Punkte-Plan gegen SARS vorgehen. Internationale Reisende sollen vor dem Abflug und nach ihrer Ankunft einer Gesundheitskontrolle unterzogen werden. www.spiegel.de Wenn Maßnahmen, die nur wenige Individuen betreffen und für die meisten nicht spürbar sind, eine so große Wirkung haben, warum setzen wir sie dann nicht heute um? Präventionsparadoxon Die Wende des vorbildlichen Verhaltens kam Jahre später. Bereits 2009 konnte man beobachten, wie die Wirksamkeit der Maßnahmen heruntergespielt wurde. Eine durch Prävention verhinderte Katastrophe wird nicht als solche wahrgenommen. Was aus der ersten SARS-Pandemie hätte werden können, geriet schnell in Vergessenheit: Doch so schnell wie der ganze Sars-Spuk kam, so schnell war er auch wieder vorbei. Schon kurze Zeit nach dem Ausbruch, im Juli 2003, gilt die Seuche offiziell als erloschen – und die Welt hat wieder andere Sorgen. […] Schätzungen der WHO zufolge sterben jährlich 5,5 Millionen Menschen an Aids, ausgelöst durch das HI-Virus. An Tuberkulose sterben jedes Jahr weltweit 1,6 Millionen, an Malaria etwa eine Millionen und an Masern 800.000 Menschen. Vor allem in Entwicklungsländern sind Krankheiten wie Tuberkulose und Aids ein enormes Problem. Dagegen sind die Zahlen der Schweinegrippe-Pandemie verschwindend gering: Nach Angaben der WHO starben bisher etwa 4100 Patienten durch das H1N1-Virus. www.spiegel.de Fazit Die SARS-Pandemie von 2003 hatte das Potenzial zu dem zu werden, was wir ab 2019 mit SARS-CoV-2 erleben. Die Welt hatte Glück, dass damals verantwortungsbewusste Menschen an den richtigen Stellen das Richtige tun durften. Ein Umstand der sich in den Jahren danach aufgeweicht hat und ab 2020 aktiv bekämpft wurde. Es ist wichtig, aus der Vergangenheit zu lernen, um die richtigen Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen, damit der Remix besser wird als das Original. Kolumne Nachrichten
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